NORD AMERIKA, MOJAVEWÜSTE |
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Der Würgeengel Der Rennkuckuck Die Speisekarte liest sich wie das Inventarverzeichnis eines Um ihn zu studieren, fahren wir vom ameisenhaften Autoquirl Los Angeles in wenigen Stunden Richtung Osten in eine der phantastischsten Mondlandschaften auf Erden, zum Joshua-Tree-Nationalpark. Die Bezeichnung »Joshua Tree« ist irreführend, denn bei dem Reservat handelt es sich nicht um eine Waldlandschaft mit einer bestimmten Baumart, sondern um eine lebensfeindliche Einöde, Teil der berüchtigten Mojavewüste, mit verwitterten Resten einstiger Gebirge, himmelwirts getürmten, rundgeschliffenen Felsen, die einer dichtgedrängten Herde gigantischer Superelefanten gleichen. Zum Selbstschutz ist der Kaktus mit drei Zentimeter langen, kräftigen, nadelspitzen Dornen gespickt. Diese sitzen auch ringsum an den Ablegern, mausgroßen Sprossen am äußersten Ende jedes Stachelzweigs. Berührt man so ein »Igelchen« nur sanft mit der Hose, bleibt es hängen wie eine Klette. Arn Fell etwa eines Kojoten natürlich auch. Einige Zeit später, wenn das Tier weitergewandert ist, trocknet das Stachelding ein, fällt von selbst ab und treibt im nächsten Regen Wurzeln. Ein wirkungsvolles Mittel des Chollakaktus, sich weit auszubreiten. Dem Rennkuckuck dient es zu einem ganz anderen Zweck. Entdeckt er in aller Morgenfrühe eine an der Wüstenoberfläche schlafende Klapperschlange, pflückt er dutzendweise diese Stachelableger mit dem Schnabel und legt sie als geschlossenen Stacheldrahtzaun von sechs Zentimeter Höhe rings um das Opfer herum. Dann flattert er hoch - Virginia Donglas, Zoologin an der Universität von San Diego, kann es bezeugen -, bombardiert das Reptil mit mehreren Kakteenstückchen, weckt es dadurch auf und versetzt es in Panik. Die Schlange versucht zu fliehen und spießt sich selbst dabei am Zaun auf. Je mehr sie tobt, desto öfter wird sie durchbohrt. Der Tod tritt nach etwa einer halben Stunde ein. Der »Speisesaal« ist zum Verzehr angerichtet. Einzigartig in der gesamten Tierwelt! Gegen Skorpione geht der kleine Vogel ganz anders vor. Im Abstand von etwa zehn Metern spreizt er seinen Federschopf wie ein Kakadu, entblößt den rot-weißen Schläfenstreifen, streckt den Kopf am langen Hals waagerecht nach vorn, während der lange, dünne Schwanz wie ein Scheibenwischer hin und her pendelt, und flitzt wie ein Indianerpfeil blitzartig nach vorn, wobei er ein Tempo von bis zu 6o Stundenkilometern erreicht. Er ist also doppelt so schnell wie ein Olympiasieger im Hundertmeterlauf. Aus vollem Lauf schnappt er nach dem Giftstachelschwanz des kurzsichtigen Skorpions, reißt ihn mit einem Ruck ab und verspeist dann seine »Hummer«-Mahlzeit mit Wohlbehagen. Bei einem anderen Beutetier zeigt der Renner, daß er den Namen »Kuckuck« zu Recht trägt. Wie alle Kuckucke frißt er gern Raupen, von denen in den Wüsten des amerikanischen Westens überwiegend jene des Prozessionsspinners leben. Diese tragen jedoch einen dicken Pelz giftiger Haare, die bei Berührung die unangenehme Wirkung von Brennesseln haben. Alle anderen Vögel schrecken davor zurück. Der Straßenflitzer kennt jedoch spezielle »Tischmanieren« angesichts dieser Speise. Er faßt den Raupenkopf mit der äußerstenSchnabelspitze und saugt das Tier ganz langsam wie Spaghetti in den Rachen. Dabei scheren die rasiermesserscharfen Schnabelkanten die Haare der Raupe sukzessive ab, als wäre sie ein Schaf. Die giftbissigen Hundertfüßer (die höchstens 52 Füße besitzen) und die Gift ausdünstenden Tausendfüßer (die höchstens 500 Füße haben) verschwinden ohne Aufhebens wie dicke Nudeln im Vogelschlund.
Um so erstaunlicher ist das Verhältnis der Roadrunner zu den kleineren Schopfwachteln, so genannt nach einem kessen Federbusch auf dem Kopf, der wie bei einem Hotelportier schwankend nach vorn im Bogen überhängt. Beide können zwar fliegen, verlassen sich aber lieber auf ihre Füße. Beide bewohnen dasselbe Wüstengebiet. Mit Leichtigkeit könnte der Straßenflitzer den kleinen Mitbewohner töten, seine Eier und Küken gar verschlingen. Aber er tut es seltsamerweise nicht. Hier ist er ein Engel ohne alle Würgeeigenschaften. Allerdings gibt es auch keine Interessenüberschneidungen. Der eine ist ein unersättlicher Fleischfresser, der andere ein reiner Vegetarier. Oft fliehen beide vor einem Greif unter denselben Dornbusch. Mitunter piepsen dann zehn oder mehr Wachtelküken dem großen Piraten vor dem Schnabel herum. Aber er denkt nicht daran, eines zu verschlucken. Auch trinken beide gelegentlich am selben Wasserquell, etwa einem tropfenden Wasserhahn bei der Rangerstation des JoshuaTree-Nationalparks in Nähe der Ortschaft Twentynine Palms. Die Beziehung des Roadrunners zum Menschen ist von seiten des Tieres von äußerster Vorsicht geprägt. Zu oft wurde er von Jägern geschossen. Durch beharrliches Füttern kann man den Vogel aber zum guten Freund machen. Bei Twentynine Palms lebt ein alter Farmer im Ruhestand. Er frühstückt ausgiebig im Bett, das hernach voller Krümel ist. Dann öffnet er das Fenster, und herein flattert »sein« Rennkuckuck, um alle Essensreste über und unter der Bettdecke zu beseitigen. Allerdings muß der Farmer seine Mahlzeit täglich exakt zur selben Minute beenden. Denn der Vogel weicht nie von seinem monotonen Tagesfahrplan ab. Alltäglich läuft er beutesuchend auf stets den gleichen Wegen sein Revier ab - auf ein bis zwei Minuten genau. Man kann seine Uhr danach stellen! So unersättlich das Vöglein ist, so sparsam geht es als Wüstenbewohner mit seiner Energie um. Die Nächte können sehr kühl sein. Um dann den inneren Ofen seines Körpers nicht unnötig aufzuheizen, sinkt seine Temperatur während der Nachtruhe auf einem Joshua-»Baum« von normal 37 auf nur noch 30 Grad Celsius. Bei Sonnenaufgang, wenn er erwacht, ist er ganz steifgefroren, wie alle Eidechsen und Schlangen auch. Könnte er diese klammen Gestalten jetzt überraschen, wäre das für ihn von großem Vorteil. Doch hindert ihn daran nicht die eigene Unbeweglichkeit? Wird der »Straßenflitzer« eigentlich seinem Ruf als Kuckuck gerecht? Nicht ganz. Er ist kein sogenannter Brutschmarotzer wie der europäische Kuckuck, obwohl er zur selben zoologischen Familie gehört. Männchen und Weibchen ziehen ihre bis zu sechs Jungen selbst auf. Aber mitunter gibt es Situationen, die eine Ahnung dessen vermitteln, wie das Unterjubeln der eigenen Eier bei fremden Weibchen einst entstanden sein könnte. Vielleicht ist dies der Anfang zum Brutschmarotzertum unter den Kuckucksvögeln. |
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Für alle Textinhalte und Fotos gilt ©2010 by Vitus B.Dröscher, Für alle Zeichnungen©2010 by Till Claudius Dröscher ; Hamburg | |